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Braucht es für die Bewerbung noch ein Motivationsschreiben?

Über die Zukunft des Motivationsschreibens wird viel diskutiert. Muss dein Bewerbungsdossier nach wie vor ein solches beinhalten? Wie sieht ein gutes Motivationsschreiben heute aus? Gibt es Alternativen? Ein Interview mit Nicole Hasenmaile und Iris Bont von Coaching Complet.

Mathias Steger: Was genau ist für Sie ein Motivationsschreiben?

Nicole Hasenmaile: Mit dem Motivationsschreiben definiert man bei der Bewerbung so präzise und fokussiert wie möglich, warum man sich für die Stelle bewirbt, warum man für die Firma arbeiten möchte und warum man für das Unternehmen ein Mehrwert ist. Das ist also Selbstmarketing in eigener Sache. Und das Ganze kurz und prägnant – maximal 1 A4-Seite.

Gibt es Unterschiede zwischen Motivationsschreiben, Bewerbungsschreiben und Anschreiben?

Nicole Hasenmaile: Der Unterschied besteht nur in der Terminologie, also der Kommunikationskultur der Firma oder der Branchen. Im Grunde ist es aber dasselbe.

Nicole HasenmaileWarum wird die Zukunft des Motivationsschreibens in der Bewerbung von vielen angezweifelt?

Nicole Hasenmaile: Das Motivationsschreiben und der ganze Bewerbungsprozess unterlaufen im digitalen Zeitalter einer grossen Änderung. Wenn man sich heute bewirbt, gehört zu einer vollständigen Bewerbung in der Schweiz aber nach wie vor ein Motivationsschreiben. Mit der Betonung auf «noch». Gerade wenn man sich online bewirbt, kann man so mit den entsprechenden Keywords den Algorithmus verstärken und somit die Chancen erhöhen, dass die Bewerbung nicht sofort maschinell aussortiert wird und ein «Mensch» meine Unterlagen prüft.

Wir empfehlen ganz klar, sich die Mühe zu machen und ein Bewerbungsschreiben zu verfassen.

Halten Sie das Motivationsschreiben also noch für zeitgemäss?

Nicole Hasenmaile: Nicht für alle Stellen und Branchen. Wenn man als Arbeitgeber z.B. einen IT-Experten sucht, möchte man wissen, was dieser Experte kann und welches technische Know-how er mitbringt: Ist er/sie Programmierer(in)? Welche Erfahrungen hat er/sie in welcher Firma gesammelt? Welche Programmiersprachen und Tools beherrscht er/sie? In diesem Fall braucht es kein Motivationsschreiben mehr. Bei einer Bewerbung als Führungsperson oder Wissenschaftler hingegen macht es sicher Sinn, dass man in einem Motivationsschreiben darlegt, warum man geeignet ist, welche Expertise man mitbringt und warum man sich auf eine Stelle bewirbt. Innovative Firmen konzentrieren sich nicht mehr auf ein Motivationsschreiben oder einen Lebenslauf, sondern haben schon ganz neue, Internet-basierte Rekrutierungsprozesse eingeführt.

In welchen Branchen ist ein Motivationsschreiben noch unbedingt erforderlich?

Nicole Hasenmaile: Ich denke, man kann das nicht generell auf eine Branche beziehen, sondern eher auf die Funktion. Um das Beispiel des IT-Experten nochmals aufzugreifen: Dieser kann in verschiedenen Branchen tätig sein. Anderes Beispiel: Bei der Suche nach einem Koch ist es für das Unternehmen viel interessanter zu wissen, in welchen Häusern und Küchen dieser zuvor schon gearbeitet hat, daher ist in diesem Fall ein Motivationsschreiben nicht so wichtig. Aber wer sich als Führungsperson für eine Stelle bewirbt, sollte im Motivationsschreiben die Beweggründe genau beschreiben.

Gibt es Stellen und Funktionen, für welche ein Motivationsschreiben nicht mehr so wichtig ist?

Nicole Hasenmaile: Ich denke da besonders an sehr gesuchte handwerkliche oder technische Berufe, wo Können und Erfahrung besonders wichtig sind, oder den Pflegebereich, um ein paar Beispiele zu nennen.

Der Fokus liegt heute bei Direktheit und kurzen, klaren Aussagen über die eigenen Fähigkeiten – maximal auf einer Seite.

Gibt es Alternativen zum Motivationsschreiben?

Iris BontIris Bont: Ja! Die gibt es. Der ganze Bereich Social Media bietet viele Möglichkeiten z.B. mit Vorstellungs-Videos. Diese sollten nicht länger als 60 bis max. 90 Sekunden sein. Auf Youtube findet man viele solche Bewerbungsvideos und sie werden auch immer häufiger von Firmen verlangt.

Wie sollte so ein Bewerbungsvideo aussehen?

Iris Bont: Inhaltlich ist eine ähnliche Struktur wie beim Motivationsschreiben gefragt, also: Wer bin ich? Warum möchte ich zu dieser Firma? Welchen Mehrwert bringe ich mit? Und natürlich sind die Keywords auch in der gesprochenen Sprache sehr wichtig. Kurz und gut: ein professionelles Positioning Statement.

Glauben Sie, dass es in zehn Jahren noch Motivationsschreiben geben wird?

Iris Bont: Nein, in dieser Form nicht mehr. Wenn man die Entwicklungskurve betrachtet, wird deutlich, dass die Welt in 4 bis 5 Jahren auch in diesem Punkt kopfüber stehen wird. Ich nehme an, dass Themen aufkommen werden, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Ich bin gespannt, was auf uns zukommen wird.

Wird das Motivationsschreiben über- bzw. unterbewertet?

Iris Bont: Das ist eine schwierige Frage. Wir wissen, dass Firmen unterschiedlich ticken. Bei Firmen in Familienbesitz beispielsweise, wo mehrere Generationen in der Leitung tätig sind, wünscht sich oftmals die ältere Generation noch ein Motivationsschreiben. Wenn die jüngere Generation sich schon etabliert hat, ist das meistens anders. Aber es dauert immer eine Weile, bis diese Änderung vollzogen ist. Es kommt aber auch immer auf die Funktion drauf an. Auf gewissen Bewerbungsplattformen kann man gar keine Motivationsschreiben mehr hochladen.

Ein Motivationsschreiben ist wie ein Werbespot. Man muss klar kommunizieren, warum man der richtige «Match» für die Stelle ist.

Was raten Sie, wenn sich jemand nicht sicher ist, ob er/sie ein Bewerbungsschreiben verfassen soll oder nicht?

Iris Bont: Wir empfehlen ganz klar, sich die Mühe zu machen und ein Bewerbungsschreiben zu verfassen. Alleine schon, weil man so die Möglichkeit hat, aus der Masse herauszustechen und so den Unterschied zu machen. Die Qualität des Motivationsschreibens muss aber einwandfrei sein. Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass man sich mit einem Motivationsschreiben besser profilieren kann und mit den richtigen Keywords punktet.

Hat sich die Form des Motivationsschreibens geändert und wie sollte dieses heute aussehen?

Iris Bont: Ganz klar. Der Fokus liegt heute bei Direktheit und kurzen, klaren Aussagen über die eigenen Fähigkeiten – maximal auf einer Seite. Wenn es länger ist, wird es oftmals gar nicht gelesen. Man soll klar mit den entsprechenden Keywords, die für die Stelle relevant sind, arbeiten. Wir empfehlen Wörter, die die Persönlichkeit und das Können unterstreichen.

Welche Tipps haben Sie abschliessend für ein gutes Motivationsschreiben?

Nicole Hasenmaile: Man schreibt keine Floskeln, sondern kommt gleich auf den Punkt. Ein Motivationsschreiben ist wie ein Werbespot. Man muss klar kommunizieren, warum man der richtige «Match» für die Stelle ist. Das bedeutet auch, dass man sich mit einem gesunden Selbstbewusstsein „verkaufen“ können muss.

Nicole Hasenmaile und Iris Bont, die Inhaberinnen der Coaching Complet GmbH, haben sich darauf spezialisiert, Menschen im Bereich der beruflichen Neuorientierung, beim Wiedereinstieg oder bei der Stellensuche professionell zu unterstützen; von der Standortbestimmung, über die richtige Kommunikationsstrategie (CV, Social Media, den gesamten Bewerbungsprozess), bis hin zu Interview-Trainings und Netzwerk-Möglichkeiten unter Berücksichtigung der Digitalisierung und den neuesten Trends. Diese Unterstützung bieten sie in einem Vintage-Café in Zürich-Enge an. Weitere Informationen unter: www.complet.ch.

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