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Arbeiten mit ADHS: Eine andere Art von Fokus

Ob als innere Unruhe im Job, gedankliches Abschweifen mitten in der Aufgabe oder Hyperfokus bis spät in die Nacht – ADHS ist eine der am meisten missverstandenen Herausforderungen im Berufsleben. 

Doch es geht uns im Zuge des Mental Health Awareness Months nicht nur um Aufklärung. Es geht darum, Arbeitsplätze zu schaffen, an denen neurodiverse Menschen nicht nur durchhalten, sondern aufblühen können. 

Was ist ADHS? (Und gibt es einen Unterschied zu ADS?) 

ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Es handelt sich um eine neurologische Bedingung – keine Verhaltensstörung – und sie betrifft nicht nur Kinder. 

Es gibt drei Formen: 

  • vorwiegend unaufmerksamer Typ (oft noch als ADS bezeichnet) 
  • vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typ 
  • kombinierte Form 

Viele sprechen weiterhin von „ADS“, wenn keine offensichtliche Hyperaktivität vorliegt. Medizinisch fällt jedoch alles unter den Begriff ADHS. 

ADHS zeigt sich nicht immer gleich. Mögliche Anzeichen: 

  • Werkzeuge und Utensilien gehen verloren, Aufgaben werden vergessen, fehlendes Zeitgefühl 
  • Schwierigkeit den Fokus zu ändern oder am Ball zu bleiben 
  • Unruhe in Meetings oder bei langen Schichten 
  • Empfindlichkeit gegenüber Lärm oder Unterbrechungen 
  • Tiefer Fokus auf eine Sache, während anderes übersehen wird 

 ADHS im Job: Oft unsichtbar 

Etwa 1 von 20 Erwachsenen ist betroffen – doch viele haben keine Diagnose oder sprechen nicht offen darüber. Missverständnisse und Stigmatisierung sind immer noch weit verbreitet. 

Gerade in Europa blieb ADHS bei Erwachsenen lange unbeachtet. Studien zeigen: Weniger als 20 % erhalten eine Diagnose – und noch weniger bekommen am Arbeitsplatz gezielte Unterstützung. 

„Ich bin 47, geschieden, Vater von zwei Kindern. Ich hatte schon als Kind das, was früher POS genannt wurde. Heute würde man wohl ADHS sagen. 

Im Job wurde ich oft als merkwürdig, unhöflich oder besserwisserisch wahrgenommen. Ich glaube, das hat mich bereits zwei Jobs gekostet.“ 

– verrät uns Pascal aus dem Aargau.

Was war POS?

In der Schweiz war POS (Frühkindliches psychoorganisches Syndrom) von 1971 bis 2012 ein offizieller Diagnosebegriff. Er umfasste neurologische und verhaltensbezogene Auffälligkeiten wie Aufmerksamkeitsprobleme, Sprachverzögerungen oder motorische Schwierigkeiten. 

Obwohl international längst durch ADHS ersetzt, hielt sich POS in der Schweiz länger – als breiter gefasster, weniger klar definierter Begriff. Die Diagnose spiegelte eine eigene, oft pädagogisch geprägte Tradition wider. 

Pascal ist in diesem System aufgewachsen – sein Beispiel zeigt, wie lange neurodivergentes Verhalten falsch verstanden wurde.  

Was ADHS ins Team einbringt

Mit dem passenden Umfeld und der richtigen Unterstützung können Menschen mit ADHS echte Stärken zeigen: 

  • Kreatives Denken unter Druck 
  • Hohe Energie in dynamischen Umgebungen 
  • Tiefer Fokus bei bedeutsamer Arbeit 
  • Unkonventionelle Lösungen 

Viele Betroffene blühen auf, wenn Klarheit, Struktur und Raum für eigene Arbeitsweisen gegeben sind – ob beim Reparieren, Projektleiten oder Entwickeln. 

„Ja, ich bin anders. Ich bin einzigartig und besonders. Ich habe gelernt, meine Diagnose zu akzeptieren und mich jeden Tag neu anzupassen. 

 Ich lache wie ein Kind, rede manchmal, bevor ich denke, und brauche mehr Zeit, um Dinge zu verstehen. Das lässt mich herausstechen.“ 

– Pascal 

Wo Missverständnisse entstehen

Was nach einem Leistungsproblem aussieht, ist oft einfach ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitsplatz und individuellen Bedürfnissen. 

Zum Beispiel: 

  • Mangelnde Organisation in überfordernden Situationen 
  • Schritte werden überspringen – nicht aus Nachlässigkeit, sondern wegen Überreizung 
  • Schwierigkeiten beim Aufgabenwechsel oder Zeitmanagement 
  • Man wird als unzuverlässig wahrgenommen werden, trotz hoher Motivation 

„Ich habe versucht, darüber zu sprechen – wurde aber oft missverstanden oder ignoriert. Das tut am meisten weh.“ 

– Pascal 

Das liegt nicht an mangelnder Motivation oder fehlenden Fähigkeiten. Es ist einfach eine andere Art von Verdrahtung.

Arbeitsplätze gestalten, in denen ADHS kein Hindernis ist 

Man muss nicht wissen, wer ADHS hat, um ein inklusiveres Team zu schaffen. Kleine Veränderungen machen viel aus: 

  • Klar und konkret kommunizieren 
  • Mündliche Infos schriftlich ergänzen 
  • Grosse Projekte in kleine Schritte aufteilen 
  • Erwartungshaltungen transparent machen 
  • Flexible Arbeitsweisen ermöglichen 
  • Konzentrationshilfen bereitstellen (z. B. Noise-Cancelling-Kopfhörer) 
  • Zusammenarbeit statt Kontrolle fördern 
  • Regelmässige Check-ins statt Mikromanagement 
  • Fragen wie: „Was hilft dir, konzentriert zu bleiben?“ statt „Warum hast du dich nicht ans Vorgehen gehalten?“ 

Zum Schluss 

ADHS ist kein Mangel. Es ist einfach ein anderer Weg, durch die Welt zu gehen. 

Pascal bringt es auf den Punkt: 

„Ich weiss, was ich kann. Ich wünsche mir Akzeptanz, Unterstützung, Respekt und Wertschätzung – von Vorgesetzten wie auch Kolleg:innen. Nicht alle sind gleich. Und das sollte okay sein.“ 

Lassen wir Arbeitsorte entstehen, die Unterschiede anerkennen und respektieren – ohne Stigmatisierung und ohne doppelte Erklärungen. 

Denn Fokus sieht für jede Person anders aus. Und wenn wir dem Raum geben, gewinnen wir alle. 

Mehr Infos und Unterstützung für Erwachsene mit ADHS in der Schweiz findest du unter sfg-adhs.ch – der Schweizerischen Fachgesellschaft für ADHS. 

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