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Fragen und Antworten zur beruflichen Neuorientierung

Bist du im derzeitigen Job richtig aufgehoben? Wie wäre es mit einer beruflichen Umorientierung, um mehr Erfolg bei der Jobsuche zu haben? Hast du versteckte Stärken? Liegt dir dein Beruf überhaupt? Wenn du dir diese Fragen schon mal gestellt hast, dann haben wir hier ein Interview mit einer Expertin für berufliche Neuorientierung für dich.

Mathias Steger: Wie kann man seine eigenen Stärken und Schwächen herausfinden?

Claire Barmettler: Wer schon länger arbeitet, kann sich z.B. auf Arbeitszeugnisse oder Jahresgespräche stützen. Dort sind Stärken schriftlich festgehalten. Wenn man seine Stärken und Schwächen im laufenden Betrieb herausfinden will, ist das Einholen von Feedback sehr geeignet, sei das bei den Vorgesetzten oder beim Team. Vorab sollte man sich aber überlegen, welche Stärken es überhaupt gibt. Den meisten kommt dazu nur wenig in den Sinn. Listen mit Kompetenzen, die man im Internet findet, geben einem zusätzliche Ideen. Mit solchen Listen lässt sich gut eine Selbsteinschätzung machen. Auch für eine Fremdeinschätzung kann man sie nutzen, indem man sie jemandem in seinem Umfeld gibt. So kann man die Einschätzungen vergleichen und so den Stärken auf die Spur kommen. Der Punkt ist aber, herauszufinden, welche Stärken man sonst noch haben könnte. Bei Stärken denkt man häufig an die beruflichen Qualifikationen. Dabei gibt es auch methodische oder soziale Kompetenzen. Diese sind bei der Arbeit in der Regel wichtiger als reine Fachkompetenzen. Schwächen sind mittels Feedbacks auch sehr gut herauszufinden.

Wie kann man feststellen, ob man im aktuellen Beruf richtig aufgehoben ist?

Wenn man abends nach Hause kommt und sich immer beklagt, dann kann man davon ausgehen, dass man nicht richtig aufgehoben ist. Es kann sein, dass man inhaltlich über- oder unterfordert ist, dass sich die Arbeitsinhalte nicht mit den Interessen decken oder dass man sich mit den Mitarbeitenden nicht versteht. Manchmal verändern sich die Firma oder die Aufgaben so, dass man sich nicht mehr damit identifizieren kann. Das können Zeichen sein, dass die Zeit für eine Veränderung gekommen ist.

Wie kann man herausfinden, welche Veränderungen nötig sind?

Ich empfehle, sich intensiv mit den eigenen Motiven, Stärken und Interessen auseinanderzusetzen. Es gilt herauszufinden, welche meiner fachlichen Fähigkeiten gefragt sind und welche Stärken, wie z.B. meine Soft Skills, ich auch in einem neuen beruflichen Umfeld einsetzen kann. Man weiss dann besser, ob ein Stellen- oder Berufswechsel nötig ist oder ob es kleine Anpassungen im Leben generell braucht. Oft merkt man, dass es nicht nötig ist, gleich alles aufzugeben, und ein paar kleinere Veränderungen reichen aus.

Ist ein Berufswechsel das Ziel, sollte man viel über die Arbeitsinhalte und Anforderungen einzelner Berufe in Erfahrung bringen. Vieles findet man im Internet. Sehr hilfreich sind auch Gespräche mit Berufsleuten. So kann man die eigenen Vorstellungen mit der Realität abgleichen.

Welche Faktoren sind bei einer beruflichen Neuorientierung besonders relevant?

Ich empfehle, auf zwei Gleisen zu fahren. Einerseits soll man sich neue Stellen ansehen, andererseits beobachten, wie die Entwicklung innerhalb des Unternehmens vorangeht. Denn manchmal verändert sich beim Job alles wieder zum Guten. Bei der Neuorientierung gibt es viele Leute, die sagen: „Ich halte das nicht mehr aus, ich will weg.“ Und bei der Suche merken viele dann, dass es mit ein paar Anpassungen im aktuellen Job auch wieder funktionieren kann. Die einen möchten es etwas gemächlicher angehen und suchen vermehrt einen Ausgleich in der Freizeit. Dazu steuern sie vielleicht ihre Agenda bewusster, damit sie zweimal pro Woche ins Fitness oder in die Chorprobe gehen können. Möglicherweise reduzieren sie auch ihr Arbeitspensum oder geben ihre Führungsrolle ab. Andere möchten durchstarten und suchen das Gespräch mit dem Vorgesetzten. Vielleicht können sie in internen Projekten mitarbeiten oder eine Stellvertreter-Rolle übernehmen.

Teilzeitstellen

Was sollte der erste Schritt sein, wenn man feststellt, dass einem der aktuelle Beruf nicht mehr gefällt?

Alles gleich hinzuschmeissen, ist meiner Meinung nach nie eine gute Idee, denn es gibt immer auch Positives und in der Regel einen Grund, warum man überhaupt einen Beruf gewählt hat. Ich erlebe häufig, dass sich Menschen mit Veränderungen schwertun. Wenn Firmen aufgekauft und reorganisiert werden oder neue Vorgesetzte kommen, kann plötzlich eine andere Atmosphäre herrschen, in der man sich nicht mehr wohlfühlt. Das kann sich aber auch wieder verändern. Daher sollte man auch einen Moment ausharren können, um die Situation in Ruhe zu analysieren.

Bei Stärken denkt man häufig an die beruflichen Qualifikationen. Dabei gibt es auch methodische oder soziale Kompetenzen. Diese sind bei der Arbeit in der Regel wichtiger als reine Fachkompetenzen.

Wie läuft eine berufliche Neuorientierung gewöhnlich ab?

Ich sehe bei der Neuorientierung vier Stationen oder Schritte. Zuerst soll man eine Bilanz ziehen, also die aktuelle Situation ausleuchten, herausfinden, was stört, was ermüdet, was krankmacht. Das sollte man schriftlich festhalten, um dem mehr Verbindlichkeit zu geben. Dann muss man sich fragen, wie lange die Situation schon so ist und wie dringend der Wechsel ist.

Der zweite Schritt ist es, Fakten zu sammeln. Hier kommen die Schwächen und Stärken ins Spiel. Was gefällt mir oder nicht? Welche Inhalte interessieren mich? Wie möchte ich arbeiten? Welche Qualifikationen haben meine Arbeitskollegen, welche Weiterbildungen brauche ich?

Im nächsten Schritt sollte man sich einen Zielbereich festlegen, also eine Stelle definieren, die den Vorstellungen entspricht. Zu diesem Schritt gehört auch, den Lebenslauf zu aktualisieren und sich zu informieren, welche Weiterbildungsangebote es gibt.

Wenn man sich diese Überlegungen gemacht hat, kann man auch sein persönliches Netzwerk aktivieren und klar eine Richtung anstreben. Das ist dann der vierte Schritt.

Neueinsteiger

Geht eine berufliche Neuorientierung auch ohne Coach?

Wenn jemand diese vier Schritte durchgeht und sein Ziel klar im Visier behält, kann es ohne externe Unterstützung funktionieren. Eine berufliche Neuorientierung ist manchmal anstrengend, denn die Themen sind nicht immer nur positiv und angenehm. Die Rolle des Coaches ist es, zu begleiten, zu beraten und zu fordern, damit man konsequent dranbleibt und durchzieht, was man sich vornimmt. Genau das mache ich auch. Ich vermittle die Methodik, stelle Fragen, stelle die Strukturen bereit, wie man die Sache angehen sollte. 

Für eine Umorientierung braucht es Mut. Wie bringt man diesen Mut auf?

Die Leute müssen realisieren, dass es für jeden Schritt einen Preis gibt. Der Preis ist, dass man einen Schritt ins Unbekannte macht. Mit jedem Schritt hat man Unsicherheiten, die man überwinden muss. Viele glauben, dass alles nach ihrer Planung läuft und bedenken nicht, dass diese Hindernisse immer auftauchen werden.

Jeder zweifelt ab und zu an seinem gewählten Job und denkt an andere Berufe. Sollte man bei derartigen Gedanken sofort eine Umorientierung in Betracht ziehen?

Ab und zu mal über seinen Job unsicher zu sein, gehört bei vielen dazu. Wenn man wirklich gesundheitlich Probleme verspürt, nicht schlafen kann, keine Nerven mehr hat, dann ist jedoch der Moment gekommen, um zu reagieren.

Oft merkt man, dass es nicht nötig ist, gleich alles aufzugeben, und ein paar kleinere Veränderungen reichen aus.

Berufliche Neuorientierung hat vielfach ein schlechtes Image. Was kann man dagegen tun?

Ich erlebe oft das Gegenteil, nämlich dass sich Leute, die lange in derselben Firma tätig sind, rechtfertigen müssen, warum sie noch dort sind. Für mich hat sich das verändert und ich merke, dass viele Respekt haben, wenn jemand sich für einen Wechsel entscheidet.

Haben Sie abschliessend persönliche Tipps für eine berufliche Neuorientierung?

Ich rate dazu, Leute zu befragen, die bereits in der gewünschten Branche tätig sind, um herauszufinden, ob die eigenen Vorstellungen des Berufs der Realität entsprechen, was die Schattenseiten und was die schönen Seiten daran sind. Ausserdem soll man sich klar über die notwendigen Weiterbildungen sein. Wenn es einen dann immer noch interessiert, sollte man es machen. Zurückgehen kann man immer.

Claire Barmettler ist Geschäftsführerin von advenias career concepts in Zürich. Dort ist sie als Coach und Trainerin im Bereich Personalentwicklung tätig. Sie begleitet Personen, die sich beruflich verändern oder weiterentwickeln möchten und berät Firmen, die ihre Mitarbeitenden für eine konstante Marktfähigkeit fördern wollen.

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