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Der Tag des Workaholismus: Wenn die Arbeit zur Droge wird

Es gibt Aktionstage, die braucht kein Mensch. Den Tag des Regenschirms beispielsweise, den World Pasta Day oder den Tag der verlorenen Socke. Und dann gibt es Daten, die durchaus dazu geeignet sind, zum Nachdenken anzuregen. So wie der heutige Tag des Workaholics. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Krankheitsbild, das in unserer Gesellschaft viel zu oft nicht ernst genommen wird, das aber für Betroffene schwerwiegende körperliche und psychische Folgen haben kann.

Engagement oder Sucht?  

Dass die Work-Life-Balance hin und wieder aus dem Gleichgewicht gerät, hat wohl jede:r schon einmal erlebt. Für Selbstständige ist Wochenend und Feiertagsarbeit ohnehin oft fester Bestandteil des Jobs. Und auch viele Angestellte müssen regelmässig Überstunden in Kauf nehmen, wenn eine Deadline oder ein wichtiger Abgabetermin näher rücken. Der eine oder die andere sitzen vielleicht sogar freiwillig am PC oder Schreibtisch, während Freund:innen und Bekannte gemeinsamen Hobbys nachgehen.Ist halt ein Workaholic“, heisst es dann gerne. Doch der Begriff, der vom englischen Wort alcoholicfür Alkoholiker:innen abgeleitet ist, geht weit über eine engagierte Arbeitshaltung hinaus. Er beschreibt vielmehr eine Form der seelischen Abhängigkeit, die mit einer Drogen, Alkohol oder Medikamentensucht verglichen werden kann. Die Folgen dieser Sucht zeigen sich vor allem, wenn Betroffene endlich einmal eine Pause einlegen wollen. Dann nämlich treten regelrechte Entzugserscheinungen auf: ein quälend schlechtes Gewissen und ein pausenlos rotierendes Gedankenkarussell, das ein Zur-RuheKommen unmöglich macht.

Selbsterkenntnisse eines Arbeitssüchtigen 

Erfunden wurde der Begriff des Workaholismus Anfang der 70er Jahre von Wayne E. Oates, einem US-amerikanischen Psychologen. Schon früh hatte Oates an seinem persönlichen Schreibverhalten zwanghafte Züge bemerkt. Nach eigenen Worten verspürte er ein unkontrollierbares Bedürfnis, ununterbrochen zu arbeiten. Da ihn dieser Drang an eine Drogen oder Alkoholabhängigkeit erinnerte, gab er ihm den bis heute verwendeten Namen. Dabei fiel Oates damals schon ein entscheidender Unterschied zwischen Workaholismus und anderen Süchten auf. Im Gegensatz zu einem Trinker oder einem Junkie brachte man ihm für seine exzessive Arbeit gesellschaftliche Anerkennung und Respekt entgegen.  

Jede:r Zehnte ist betroffen

Im Gegensatz zu Kokain, Alkohol oder Opioid-Abhängigkeit ist Workaholismus in der Medizin bisher nicht als eigenständige Erkrankung anerkannt. Dabei kommt eine im vergangenen April veröffentlichte Studie im Auftrag der deutschen Hans-BöcklerStiftung zu einem alarmierenden Ergebnis. Rund 10 Prozent aller Erwerbstätigen haben demnach ein suchthaftes Verhältnis zur Arbeit entwickelt. Um von den Forscher:innen als Workaholics eingestuft zu werden, mussten die Befragten zwei Merkmale erfüllen: 
 
1. Sie arbeiteten nach eigenen Worten sehr lang, sehr schnell und meist parallel an mehreren Aufgaben. 
 
2. Während arbeitsfreier Zeiten verspürten sie ein schlechtes Gewissen und waren nicht in der Lage, sich zu entspannen.

Gemeinsam war den Betroffenen, dass sie häufiger als andere psychische oder körperliche Probleme hatten. Dennoch sprachen sie über ihre Beschwerden mit Ärzt:innen seltener, als nicht arbeitssüchtige Mitmenschen. 
Im Rahmen der Studie haben Wissenschaftler:innen für Deutschland repräsentative Daten von 8000 Erwerbstätigen aus den Jahren 2017 und 2018 ausgewertet. Eigene Zahlen für die Schweiz liegen bisher nicht vor. Auffällig ist aber, dass entsprechende Untersuchungen in zwei anderen Ländern zu ähnlichen Ergebnissen kamen. So wurden in den USA ebenfalls 10 Prozent, in Norwegen 8 Prozent der Erwerbstätigen als arbeitssüchtig eingestuft. Ein Ergebnis, das eine ähnlich hohe Zahl von Erkrankten in anderen westlichen Industriegesellschaften vermuten lässt.

Risiko abhängig vom Arbeitsumfeld

Wer nun glaubt, dass individuelle Merkmale wie Schulabschluss oder Familienstand die Neigung zu suchthaftem Arbeiten begünstigen, irrt. Auch der Unterschied zwischen Frauen (10,8 Prozent Workaholics) und Männern (9 Prozent Workaholics) fällt kaum ins Gewicht. Tatsächlich scheint die Arbeitssucht jede:n von uns befallen zu können: dann beispielsweise, wenn es auf der Karriereleiter nach oben geht. So finden sich unter Führungskräften – von denen ohnehin oft überdurchschnittliches Engagement und hoher Arbeitseinsatz erwartet werden deutlich mehr Arbeitssüchtige als in den unteren Ebenen. Mitarbeiter:innen in Kleinbetrieben sind ausserdem häufiger betroffen, als Angestellte in Grossunternehmen. Und auch eine berufliche Selbstständigkeit erhöht das Risiko, zum oder zur Workaholic zu werden.

Gesundheitliche Folgen für Workaholics

Dass Workaholismus krank macht, gilt unter Mediziner:innen als unbestritten. Im Bereich der Psyche zeigen sich bei suchthaft Arbeitenden beispielsweise: 

  • Erschöpfung
  • Ängste und/oder depressive Verstimmungen
  • Schlafstörungen
  • Konzentrationsstörungen
  • Burnout 

Weitere Symptome auf körperlicher Ebene werden möglicherweise nicht mit einer Arbeitssucht in Verbindung gebracht, können aber trotzdem von ihr verursacht sein:

  •  Chronische Kopfschmerzen
  • Schweissausbrüche
  • Herz-Kreislauf-Beschwerden wie Bluthochdruck und Arteriosklerose
  • Magengeschwüre
  • erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt

Selbsttest: Bin ich ein Workaholic?

Wann genau die Arbeit zur Sucht wird, ist schwer zu sagen. Die Übergänge sind fliessend und individuell unterschiedlich. Hinweise auf ungünstige Verhaltensmuster im Umgang mit Arbeit können aber die folgenden Fragen geben. Sie basieren auf einer Skala, die Wissenschaftler:innen der Universität von Bergen in Norwegen zum Erkennen von Arbeitssucht entwickelt haben.

  1. Denkst du häufig darüber nach, wie du dir mehr Zeit zum Arbeiten nehmen kannst?
  2. Arbeitest du oft länger als geplant?
  3. Nutzt du die Arbeit als Mittel, um negativen Gefühlen wie Angst, Hilflosigkeit, Enttäuschung oder Trauer zu entkommen?
  4. Wirst du von anderen aufgefordert, weniger zu arbeiten? Und arbeitest dann trotzdem weiter?
  5. Empfindest du Stress, wenn du von der Arbeit abgehalten wirst?
  6. Vernachlässigst du Hobbys, Sport und soziale Kontakte, um mehr arbeiten zu können?
  7. Hat deine Arbeit bereits zu gesundheitlichen Einschränkungen geführt?

Wenn du viermal oder häufiger mit „Ja“ geantwortet hast, zeigst du bereits Anzeichen eines Suchtverhaltens. Höchste Zeit, ehrlich zu dir selbst zu sein und deinem Problem die Stirn zu bieten.

Erste Hilfe für Workaholics

Wer sich noch in der Anfangsphase einer Arbeitssucht befindet und aus eigener Kraft hinausfinden will, muss sich selbst strenge Regeln setzen. Dazu gehören klar definierte Arbeits- und Pausenzeiten. Freie Zeit sollte bewusst gelebt und für Hobbys oder gemeinsame Aktionen mit Freund:innen und Familie genutzt werden. Laptop und beruflich genutztes Handy sind in dieser Zeit tabu. Mithilfe von Yoga, Meditation oder anderen Techniken kann Entspannen gelernt und praktiziert werden. Aufenthalte in der Natur helfen, dem geistigen Hamsterrad zu entfliehen. Wichtig ist es, Entzugserscheinungen auszuhalten und nicht dem Drang nach der Rückkehr zur Arbeit nachzugeben.

Ist ein eigenes Bewältigen des Suchtverhaltens nicht mehr möglich, helfen ein gezieltes Coaching oder eine Psychotherapie. Als erste:r Ansprechpartner:in kommt immer auch die Hausarztpraxis infrage.

Natürlich bietet auch das Internet weitere Informationen. In der Schweiz hat sich 2010 eine private Initiative namens „Crazy Workers“ gegründet. Ihre Webseite www.crazyworkers.ch wird nicht mehr aktualisiert, bietet Betroffenen aber zahlreiche Informationen zum Thema Arbeitssucht.

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