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„Arbeitszeugnisse darf man selber schreiben“ – Wirklich? 12 Mythen vom Experten geklärt

In Diskussionen mit Freunden und Arbeitskollegen rund um das Thema Arbeitszeugnis wird eines klar: dass nichts klar ist. Man hat viele Ausdrücke schon mal gehört, kennt „codiert“ vom Hörensagen und weiss von einem Freund des Freundes der Cousine, dass man sein Arbeitszeugnis auch selbst verfassen kann. Aber ist das wirklich so? Wir klären mit Peter Häusermann, ehemaliger Personalmanager und Experte für Arbeitszeugnisse, über Humbug und Wahrheit von Arbeitszeugnissen auf.

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1. Mythos

Uncodiert gibt es nicht – alle Arbeitszeugnisse sind codiert

Ja, es ist so, dass sehr viele Arbeitszeugnisse von den Arbeitgebern codiert formuliert werden. Allerdings verfassen viele Arbeitgeber unabsichtlich codierte Arbeitszeugnisse, indem sie Floskeln und Ausdrücke verwenden, die Unsicherheit und Spekulationen auslösen. So tappen diese Arbeitgeber in die Codierungs-Falle – und das ist fatal!

2. Mythos

Je kürzer das Arbeitszeugnis, desto schlechter

Das stimmt nicht. Der Gesetzgeber gibt klar vor, dass ein Arbeitszeugnis vier zwingende Aspekte beinhalten muss. Erstens betrifft dies die Art der Anstellung, also welche Aufgaben eine Person ausgeführt hat – unabhängig von der Komplexität der Aufgaben. Daraus wird ersichtlich, welche Kompetenzen jemand mitbringt.

Zweitens muss auf die Dauer der Anstellung eingegangen werden. Dazu gehören auch Angaben über Stellenprozente (Teilzeit oder Vollzeit).

Drittens verlangt der Gesetzgeber – und das interessiert Personalfachleute bei der Selektion am meisten – eine messbare Leistungsbeurteilung. Da wird ersichtlich, wo jemand gut gearbeitet hat und wo weniger gut. Einfach nur zur „vollsten Zufriedenheit“ zu schreiben ist, ist aus fachlicher und sprachlicher Sicht unangebracht. Das Arbeitszeugnis muss der Wahrheit entsprechen, mess- und nachvollziehbar aufzeigen, wie zufrieden der Arbeitgeber gewesen ist.

Der vierte und letzte Aspekt betrifft das Verhalten. Dabei müssen Angestellte ohne Führungsfunktion mindestens in Bezug auf das Teamverhalten, den Umgang gegenüber Vorgesetzten und das Auftreten gegenüber Kunden und Aussenstehenden beurteilt werden. Bei Vorgesetzten kommt dann noch der Führungsaspekt hinzu.

Für jeden Arbeitgeber besteht in einem Arbeitszeugnis also die Pflicht, zur Art und Dauer der Anstellung, zur erbrachten Leistung und zum gezeigten Verhalten Stellung zu nehmen.

  

3. Mythos

Man kann sein Arbeitszeugnis selber schreiben

Das ist eine ganz traurige, aber leider wahre Behauptung. Traurig, weil der Arbeitgeber für die Ausstellung eines Arbeitszeugnisses verantwortlich ist – und nicht der Arbeitnehmer selbst. Der Arbeitgeber hat einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, dem Angestellten ein Zeugnis mit seiner Beurteilung auszustellen, und nicht der Arbeitnehmer mit seiner persönlichen Einschätzung. Es geht bei einem Arbeitszeugnis ja darum, wie zufrieden der Arbeitgeber mit dem Angestellten war. Ob ein Arbeitszeugnisses gut oder schlecht ist, ist von der Länge unabhängig.

4. Mythos

Wenn nichts zum Austrittsgrund steht, ist das sehr schlecht

Nein, nicht zwingend. Allerdings hilft die Angabe des Austrittsgrundes, zu verstehen, warum jemand das Unternehmen verlassen wollte oder gehen musste. Ein Statement zum Austrittsgrund wird jedoch vom Gesetzgeber nicht vorgeschrieben und kann auch nicht eingeklagt werden.

 

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Personalfachleute, die Arbeitszeugnisse von hinten nach vorne lesen, sind in meinen Augen inkompetent.

Peter Häusermann, Experte für Arbeitszeugnisse

 

5. Mythos

Das Arbeitszeugnis wird von Personalfachleuten von hinten nach vorne gelesen

Ja, dieses Phänomen kommt durchaus vor. Personalfachleute, die Arbeitszeugnisse so lesen, sind in meinen Augen jedoch inkompetent. Sich nur über die Leistung und das Verhalten zu informieren, ist zu oberflächlich, um sich ausführlich mit einer Person auseinanderzusetzen. Man muss das Gesamtbild betrachten. Dazu gehört, mit welchen Aufgaben die Person betraut wurde. Ein Vergleich mit dem Lebenslauf ergibt somit Aufschluss über die vorhandenen Kompetenzen.

6. Mythos

Ich kann immer ein Arbeitszeugnis verlangen

Ja, das ist richtig. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass ein Arbeitszeugnis jederzeit angefordert werden kann. Damit wird der Arbeitgeber verpflichtet, sich so zu organisieren, dass er auf Verlangen hin in der Lage ist, diesem gesetzlichen Anspruch zu entsprechen. Das kann schon nach wenigen Monaten der Fall sein.

 

Ein Zwischenzeugnis kann auch als Führungsinstrument verwendet werden.

Peter Häusermann, Experte für Arbeitszeugnisse

7. Mythos

Ein Arbeitszeugnis bekommt man nur auf Verlangen

Nein, ein Arbeitszeugnis auszustellen kann auch der Ausdruck einer gelebten Führungsverantwortung sein, beispielsweise bei einem Vorgesetztenwechsel. Ebenfalls kann ein Zwischenzeugnis auch als Führungsinstrument verwendet werden. Wenn ein Mitarbeiter seine Einstellung oder Leistung trotz Weiterbildung oder anderweitiger Anstrengungen nicht ändert, darf der Arbeitgeber durchaus ein Zwischenzeugnis ausstellen. Eine solche Massnahme unterstreicht eine gelebte und wahrgenommene Führungsverantwortung.

8. Mythos

In einem Arbeitszeugnis muss nur die Leistung, nicht aber das Verhalten beschrieben werden

Nein, wie schon in Mythos 2 erklärt, ist das falsch. Es besteht ein gesetzlicher Auftrag gemäss OR Art. 330a. Abs. 1, der klipp und klar besagt, dass die Leistung UND das Verhalten umfassend beurteilt werden müssen. Entsprechende Auslassungen sind Codierungen und werden von keinem Arbeitsgericht akzeptiert. Darüber sind sich viele Arbeitgeber oft gar nicht bewusst. Sie lassen negative Aussagen einfach aus, drücken sich um eine klare Stellungnahme und nehmen damit ihre gesetzlich vorgeschriebene Pflicht nicht wahr.

9. Mythos

Zeugnisse von Kleinbetrieben werden anders gelesen als von Grossunternehmen

Ja, das ist richtig. Bei einem KMU-Betrieb kann man nicht davon ausgehen, dass Führungsleute eine professionelle Ausbildung im Personal- und Führungsbereich absolviert haben. Wenn dann steht: „Der Mitarbeiter XY war immer pünktlich“ muss dies nicht zwingend negativ sein. Viel problematischer ist es, wenn Personalfachleute solche Aussagen nicht erkennen und es als Codierung werten.

10. Mythos

Alle Personalverantwortlichen kennen sich mit Codierungen aus

Nein, das stimmt nicht. Ich setze mich seit einem Vierteljahrhundert mit Arbeitszeugnissen auseinander. Trotzdem habe ich bisher noch nicht herausgefunden, ob es mehr Codierungen gibt als unterschiedliche Listen mit Codierungen. Da ist kein Durchblick möglich. Die Frage ist mehr, was man unter Codierung versteht. Codierungen sind sprachliche Ausdrucksweisen, die je nach Person unterschiedlich gesagt und verstanden werden können. Ähnlich wie im Schweizer Dialekt, in dem gewisse Ausdrücke je nach Region ihre Bedeutung verändern.

11. Mythos

Die Zeugnisgliederung entscheidet der Verfasser selbst

Ja, in der Darstellung seines Arbeitszeugnisses ist der Verfasser frei. Es muss einfach den oben beschriebenen, vier zwingenden Erfordernissen nachkommen.

12. Mythos

Man hat immer ein Anrecht auf ein gutes Arbeitszeugnis

Nein, das hat man nicht. Man hat Anrecht auf ein anständig und fair formuliertes Arbeitszeugnis, welches bezeugt, wie der Arbeitgeber mit der Leistung und mit dem Verhalten zufrieden ist. Das kann sowohl gut, als auch weniger gut sein – je nachdem, wie die Leistung des Arbeitnehmers war.

 

arbeitszeugnis-portrait-peter-ha%cc%88usermannPeter Häusermann war von 1981 bis 2001 Personalchef bei der Beringer Hydraulik AG und ist seit 1996 Dozent für Führungslehre und Personalwesen an der HFW Luzern. Ausserdem hat er sein Engagement für transparente Arbeitszeugnisse in seinem Buch «Arbeitszeugnisse – wahr, klar und fair. Tipps und Anregungen für verantwortungsbewusste Arbeitgeber» zusammengefasst.

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