Bist du bereit für eine berufliche Neuorientierung?

Viele Menschen bekommen im Laufe ihrer Karriere einmal Lust auf etwas Neues. Dabei birgt eine berufliche Neu- oder Umorientierung viele Chancen und Herausforderungen. Wir haben Isabelle Flouck, Expertin für berufliche Neuorientierung, gefragt, welche Aspekte bei einem Karriereumstieg besonders wichtig sind.

Mathias Steger: Wann ist der beste Zeitpunkt für eine berufliche Neuorientierung?

Isabelle Flouck: Mit 40 wissen die meisten, was sie gerne tun und woran sie nicht mehr so viel Spass haben. In diesem Alter kommt eine berufliche Neuorientierung daher besonders häufig vor, aber auch bei anderen Altersgruppen ist diese nicht selten. Es gibt junge Menschen, die eine Ausbildung machen und schnell erkennen, dass der gewählte Beruf nicht der richtige für sie ist.

Kann es auch zu spät für eine berufliche Neuorientierung sein?

Es ist nie zu spät für eine berufliche Neuorientierung, auch wenn sich Menschen über 50 diese Frage oft stellen. Wichtig ist, Vorurteile aus unseren Köpfen zu bringen und die innere Motivation beizubehalten. Wenn sich jemand neuorientiert, weil er sich dazu verpflichtet fühlt, wird der ganze Prozess natürlich schwieriger. Wenn man andererseits von der Sache überzeugt ist, ist die Hälfte der Arbeit bereits erledigt.

Was empfehlen Sie Kandidaten, die sich beruflich neu orientieren wollen, aber nicht genug Mut dazu haben?

Wichtig ist, dass man einen Schritt nach dem anderen macht. Ich rate den Leuten, zunächst genaue Informationen über einen zukünftigen Job oder die geplante Ausbildung zu sammeln. Das hilft, falsche Erwartungen und Vorstellungen zu beseitigen. Oft fehlt auch die Unterstützung der Familie und des Freundeskreises. Eine gute Übung ist es, ein Familienmitglied zu überzeugen, das skeptisch gegenüber einer beruflichen Veränderung ist, um seine eigene Motivation und Überzeugungskraft zu testen.

Wie unterstützen Sie Menschen in ihrer beruflichen Neuorientierung?

Oftmals sind die beruflichen Wünsche nicht konkret genug. Man soll sich über Dinge wie berufliches Umfeld, Unternehmenskultur und Unternehmensgrösse genaue Gedanken machen und sich bewusst sein, was einen in Bezug auf Funktion, Aktivitäten, Kollegen, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und Lohn in der neuen Funktion erwartet. Ich unterstütze sie dabei, über solche Fragen nachzudenken und begleite sie bei beim gesamten Prozess.

Gibt es Bereiche oder Berufe, die für Menschen, die ihren Karriereweg ändern wollen, besonders zugänglich sind?

Es gibt Sektoren, die schwerer zugänglich sind, und andere, die offener sind. Start-ups können eine Möglichkeit für einen Neustart sein, wenn man über die richtigen Qualifikationen verfügt. Sie sind oft auf der Suche nach Mitarbeitern mit hohem Potenzial und nicht unbedingt mit viel Erfahrung Auch die öffentliche Verwaltung kann sehr zugänglich sein. Bei grossen Konzernen ist es in der Regel notwendig, ein massgeschneidertes Profil zu haben.

Welche sind die grössten Schwierigkeiten für eine berufliche Neuorientierung?

Viele haben Angst vor dem Scheitern und davor, was andere über ihre Entscheidungen denken. Wir müssen unsere Einstellung zu diesem Thema ändern. Für die berufliche Neuorientierung sind Mut und auch Networking unerlässlich. Es braucht nur ein wenig Übung, um aus der Komfortzone herauszukommen und Leute zu treffen, die man nicht kennt. Coaches können bei diesem Übergangsprozess unterstützend zur Seite stehen.

Was kann bei einem Wunsch nach einer beruflichen Umorientierung unterstützend sein?

Die berufliche Umorientierung als persönliche Entwicklung zu begreifen bedeutet, sich selbst die Möglichkeit zu geben, einen Job zu finden, der besser zu den eigenen Werten passt. Die Durchführung einer Zufriedenheitsbewertung hilft, festzustellen, welche Aufgaben man gerne erledigt und welche weniger gern. Neben den zu bewertenden Aufgaben sind das Umfeld, die beruflichen Beziehungen und die Entwicklung Teil der Zufriedenheitsbewertung.

Isabelle Flouck, Expertin für berufliche Umorientierung, ist Gründerin des Unternehmens ifcarriere.com. Die Juristin absolvierte Weiterbildungen zur Erwachsenenbildnerin, Personalberaterin und zum Coach. Sie ist ausserdem Buchautorin und aktives Mitglied der Vereinigung PTO (part time optimization), die Jobsharing fördert .