Job Coach > Selbstreflektiert und souverän: Stärken und Schwächen im Interview

Selbstreflektiert und souverän: Stärken und Schwächen im Interview

Manche Personaler:innen lieben sie, andere halten sie für völlig überflüssig. Doch irgendwann im Laufe deiner Karriere wirst höchstwahrscheinlich auch du mit der Frage nach deinen Stärken und Schwächen konfrontiert sein. Und obwohl in vielen Ratgebern empfohlen wird, offen und ehrlich zu antworten, ist eines klar: Du kannst in diesem Teil des Interviews deine Chancen auf den Job mit wenigen Sätzen zunichtemachen. Umgekehrt ist es aber mit gezielter Vorbereitung durchaus möglich, Stärken und Schwächen souverän und gleichzeitig selbstkritisch zu präsentieren und dabei auch noch authentisch zu wirken. Entscheidend dafür ist, dass du dir vorab über deine Fähigkeiten, Defizite und Eigenschaften Gedanken gemacht und geeignete Formulierungen überlegt hast.  

Das Benennen eigener Stärken  

„Wenn ich so darüber nachdenke, kann ich eigentlich alles“. Mit diesem Satz kommt nicht einmal die fünfjährige Lotta aus Astrid Lindgrens Krachmacherstraße durch, ohne von ihren Geschwistern für eine Angeberin gehalten zu werden. Auch von den folgenden Antworten auf die Frage nach deinen Stärken ist ausdrücklich abzuraten: 

  • „Mein Charme macht mich einfach unwiderstehlich, finden Sie nicht auch?“  
  • „Am besten kann ich Aufgaben an andere delegieren.“  
  • „Multitasking ist kein Problem für mich. Gerade habe ich parallel zum Verfassen des Firmenberichts mein neues Auto konfiguriert.“  

Erstaunlicherweise fällt es vielen Bewerber:innen ausgesprochen schwer, sich selbst in einem guten Licht darzustellen. Umso wichtiger ist es, dass du schon vor dem Vorstellungstermin über mögliche Antworten nachdenkst.  

Was kann ich eigentlich besonders gut?  

Dabei besteht der erste Schritt darin, deine wirklich vorhandenen Talente, Vorzüge und Kompetenzen herauszufinden. Gar nicht so einfach in einer Gesellschaft, in der negatives Feedback viel weiter verbreitet ist, als positive Rückmeldungen. Um deinen Vorzügen auf die Spur zu kommen, kannst du zunächst einmal überlegen, welche Bereiche deiner Arbeit dir besonders leicht von der Hand gehen. Vielleicht gibt es sogar Aufgaben oder Tätigkeiten, bei denen dich deine Kolleg:innen gern um Hilfe bitten. Möglicherweise bist du auch von Mitarbeiter:innen oder Vorgesetzten schon mal für bestimmte Kenntnisse oder Fähigkeiten gelobt worden, beispielsweise in einem Jahres- oder Entwicklungsgespräch. Falls du bereits Zeugnisse von früheren Arbeitgebern vorliegen hast, findest du darin sicher Hinweise darauf, was deine Tätigkeit ausgezeichnet hat. Nicht zuletzt können auch Freund:innen und Familie positive Skills nennen, die dir selbst gar nicht als solche bewusst sind.   

Welche Eigenschaften sind gefragt? 

Du solltest nun eine Handvoll fachlicher und/oder persönlicher Stärken herausgefunden haben, die dich als Angestellte:n grundsätzlich für ein Unternehmen interessant machen. Jetzt musst du in Erfahrung bringen, welche Erwartungen dein Gegenüber an potenzielle Kandidat:innen hat. Sieh dir dazu noch einmal die Stellenanzeige und die darin genannten Anforderungen an. Oder falls du dich blind beworben hast: Schau dich auf der Webseite der Firma um. Hier findest du oft Hinweise auf eine bestimmte Unternehmenskultur, auf gelebte Werte und etablierte Strukturen, die von den Beschäftigten mitgetragen werden sollen.

Ideal ist es, wenn du im Interview Stärken benennen kannst, die zu deiner neuen Aufgabe und dem neuen Arbeitgeber passen.

Gern gesehen und gehört sind dabei von Personaler:innen Eigenschaften wie:  

  • Eigeninitiative und Engagement
  • Kreativität oder Einfallsreichtum 
  • Kommunikationsstärke  
  • Teamfähigkeit 
  • Lernbereitschaft 
  • Belastbarkeit, vor allem unter Zeitdruck 

Das Benennen eigener Schwächen 

Als sei der erste Teil nicht schon schwierig genug gewesen, wirst du jetzt auch noch nach Argumenten gefragt, die eigentlich gegen dich sprechen. Was hier überhaupt nicht hilft, sind vermeintlich witzige oder ausweichende Antworten wie diese: 

  • „Sie werden es mir vielleicht nicht glauben, aber: Ich habe keine Schwächen.“  
  • „Ich trinke schon am frühen Morgen, habe ein Problem mit Autoritäten und muss freitags immer um 12 Uhr gehen, damit ich mich auf das Wochenende vorbereiten kann.“
  • „Meine Schwächen verrate ich nicht, die müssen Sie schon selbst herausfinden.“  

Tatsächlich interessiert dein Gegenüber bei dieser Frage weniger, WAS als vielmehr WIE du antwortest. Im besten Fall kannst du den Eindruck erwecken, dass du dich intensiv mit dir selbst und deinem Arbeitsverhalten auseinandersetzt und zur Selbstkritik fähig bist. Dazu kommt, dass du weisst, welche Schwächen du nennen darfst und welche nicht. Privates beispielsweise ist hier völlig fehl am Platz. Dass sich deine Kolleg:innen immer bei dir ausheulen, wenn zu Hause der Haussegen schief hängt, wird bei Chef oder Chefin eher nicht so gut ankommen. Als akzeptabel gelten dagegen Defizite wie: 

  • Fehlende Berufserfahrung, vorwiegend bei jungen Bewerber:innen
  • Gelegentliche Schwierigkeiten, Aufgaben zu delegieren
  • Ein Hang zu Selbstkritik
  • Nervosität bei Reden oder Präsentationen vor Publikum
  • Schlecht „Nein“ sagen können, wenn andere um Hilfe bitten 

Du findest, das hört sich alles viel zu negativ an? – Nicht, wenn du gleichzeitig die Bereitschaft signalisierst, dich weiterzuentwickeln. Zeige deinem Gegenüber, wie du dafür sorgen willst, dass die von dir erkannten Schwächen nicht zur Belastung für das Unternehmen werden. Zum Beispiel so:  

  • „Meine Kenntnisse in Business English sind leider etwas eingerostet. Deswegen habe ich mich jetzt für einen Abendkurs an der Volkshochschule angemeldet.“  
  • „Ich bin bedauerlicherweise manchmal ein wenig vergesslich. Deshalb habe ich mir angewöhnt, nach wichtigen Gesprächen immer ein Gedankenprotokoll anzufertigen.“
  • „In einem lauten Grossraumbüro fällt es mir manchmal etwas schwer, mich zu konzentrieren. Für den Fall habe ich mir Noise-Cancelling-Kopfhörer besorgt, die die Geräuschkulisse für mich reduzieren.“  

Auch diesen Antwortbereich solltest du für jeden Bewerbungstermin aktualisieren und nur solche Schwächen auswählen, die bei deiner künftigen Stelle nicht ins Gewicht fallen. So kannst du in einem handwerklichen Beruf ohne grössere Probleme erwähnen, dass du ungern am Telefon kommunizierst. In einem Call-Center dagegen ist diese Eigenschaft selbstverständlich ein No-Go für künftige Mitarbeiter:innen.   

Dos and Don’ts im Job-Interview  

Für Schwächen und Stärken gilt gleichermassen, dass du sie beim Vorstellungsgespräch nicht herunterrattern solltest wie eine Bestellung am Schalter eines Drive-in-Restaurants. Du erinnerst dich: Auf welche Weise du deine Antworten präsentierst, ist mindestens ebenso wichtig, wie das Gesagte selbst. Du darfst in dieser Situation gern nachdenklich, vielleicht sogar einen Hauch zögerlich wirken. Wenn du dich beim Sprechen innerlich tatsächlich noch einmal mit dem Gesagten auseinandersetzt, wirkst du wahrscheinlich besonders authentisch.  

Zusätzliche Glaubwürdigkeit erzielst du, wenn du Schwächen und Stärken anhand einer Situation beschreibst, die du so oder so ähnlich wirklich erlebt hast. Beispiel: „Ich bin in einer fremden Umgebung oft ein wenig schüchtern und ziehe mich zurück. Bei meiner letzten Stelle hat man mir gesagt, dass ich dadurch auf die Leute ungewollt etwas abweisend gewirkt habe. Deshalb nehme ich mir vor, im nächsten Job ganz bewusst auf meine neuen Kolleg:innen zuzugehen, damit wir einander besser kennenlernen und dauerhaft gut miteinander arbeiten können.“ Oder im Falle einer positiven Eigenschaft: „In meinem derzeitigen Büro geht es manchmal etwas unorganisiert und chaotisch zu. Dank meiner Spontaneität und meinem Improvisationstalent kann ich aktiv dazu beitragen, dass wir alle am Schluss immer ein gutes Ergebnis erzielen können.“   

Üben, üben, üben 

Nervosität vor Vorstellungsgesprächen ist unter Bewerber:innen weitverbreitet. Kein Wunder: Du sollst deine Stärken nennen, dabei aber nicht zu sehr von dir überzeugt wirken. Du musst Schwächen präsentieren, darfst dir aber nicht selbst schaden. Du willst optimal auf die Stärken-Schwächen-Analyse vorbereitet sein, dir das aber nicht anmerken lassen. Und nicht zuletzt wird von dir erwartet, bei diesem Kunststück möglichst authentisch herüberkommen. Perfektionismus hilft an dieser Stelle nicht weiter. Was zu mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein beim neuen Arbeitgeber führt, ist dagegen das praktische Einüben. Trainiere vor deinem nächsten Interview mit einem Familienmitglied oder einer vertrauenswürdigen Person aus dem Kollegen- oder Bekanntenkreis. Übe allein vor dem Spiegel oder zeichne ein Video eines fiktiven Vorstellungsgesprächs mit deiner Handykamera auf. Betrachte dich kritisch, aber wohlwollend. Überlege, wie deine Aussagen, deine Gestik und deine Mimik auf dein Gegenüber wirken. Und feile so lange an deiner Performance, bist du zu dir selbst sagen kannst: Gratuliere, Sie haben den Job!  

Ähnliche Beiträge

Ghosting im Bewerbungsprozess: Was steckt dahinter?
Prüfungsangst im Job: Ein Leitfaden für selbstsichere Auftritte