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Von der IV wieder in den Arbeitsmarkt – die Geschichte von Markus

Das Leben ist manchmal unberechenbar. Eben arbeitet man noch in seinem Beruf und im nächsten Moment steht man auf der Strasse, weil der Körper nicht mehr arbeiten kann – auch wenn der Kopf ja sagt. So ging es auch Markus*, der nach 20 Jahren im selben Betrieb wegen einem Rückenleiden seinen Job verlor. Im Interview erzählt er, wie ihn die IV bei der Jobsuche unterstützte, wie er die Situation verarbeitete und welche Tipps er für Menschen in einer ähnlichen Situation geben würde.

(*Name der Redaktion bekannt)

Hallo Markus, am besten fangen wir am Anfang an: Was war dein Job?

Ich war als Bauleiter für mittelgrosse bis grosse Baustellen verantwortlich und führte ein Team von ungefähr zehn Mitarbeitern. Neben der aktiven Mitarbeit war ich auch für die Materialbewirtschaftung, Einplanung, Disposition und Koordination mit den Mitarbeitenden verantwortlich. Ich war zwar schon über 25 Jahre im Beruf und über 20 Jahre im selben Betrieb, hatte Freude an meiner Arbeit und würde sie auch heute noch gerne machen.

Wie war deine Beziehung zum Arbeitgeber?

Das war ein ausserordentlich gutes Umfeld. Die Beziehung zum Chef war super, wir kamen sehr gut miteinander aus. Wir hatten ein gutes Team und respektierten uns gegenseitig. Ich arbeitete sehr gerne in diesem Betrieb – für mich war es eine zweite Heimat.

Ich arbeitete sehr gerne in diesem Betrieb – für mich war es eine zweite Heimat.

Das hört sich so an, als hättest du deine Balance im Leben gefunden. Was hat dich aus dem Gleichgewicht gebracht?

Es hat schleichend angefangen. Zuerst spürte ich nur ein kleines Zwicken im Rücken, was ich nicht sonderlich beachtenswert fand. Mit ein paar Besuchen bei der Physiotherapie ging’s dann auch wieder. Aber da hatte ich mich getäuscht: Die Rückenschmerzen wurden immer schlimmer, bis ich irgendwann nicht einmal mehr auf der Leiter stehen konnte. Und weil es nicht besser wurde, entschloss ich mich zum Arzt zu gehen, der mich dann zur Radiologie anmeldete.

Und dann hast du dein Pensum reduziert oder körperlich weniger anstrengende Arbeiten gemacht?

Nein, das kam in meinem Beruf nicht in Frage. Ich war als Bauleiter angestellt, da gibt es keine Schonarbeit. Ich war ja für meine körperliche Arbeit angestellt. Ausserdem war der Tenor vom Unternehmen glasklar: Entweder du machst weiter, oder du lässt es sein.

Entweder du machst weiter, oder du lässt es sein.

Was mit einem kaputten Rücken offensichtlich nicht geht. Wurdest du vom Arzt krankgeschrieben?

Anfangs habe ich versucht, meinem Rücken zu trotzen und weiterzuarbeiten. Aber irgendwann hatte ich so starke Schmerzen, dass ich nicht mehr richtig stehen konnte. Da habe ich auf den Tisch geklopft und gesagt: „Sorry, aber so kann es nicht weitergehen!“. Daraufhin bin ich nochmals Arzt, Diagnose: Bandscheibenvorfall. Also wurde ich krankgeschrieben und durchlief eine Infiltration, die ohne Komplikation verlief. Danach fühlte ich mich wieder fit genug, um zurück zur Arbeit zu gehen. Mein Arzt war einverstanden – unter der Bedingung, dass ich mit leichter Arbeit starte und meine Belastung dann stetig erhöhe, damit ich nicht sofort wieder einen Rückfall erleide. Vergleichbar mit einem Sportler, der den Fuss im Gips hatte und die Muskeln erst langsam aufbauen muss, bevor er wieder einen Marathon rennen kann.

Und dein Arbeitgeber war einverstanden?

Zuerst bekam ich grünes Licht von meinem Projektleiter. Dann kam aber von weiter oben die Weisung: „Entweder arbeitest du 100% und bist voll einsatzfähig – oder eben nicht.“ Woraufhin mein Arzt mir erklärte, dass das gar nicht ginge – und mich wieder krankschrieb.

IV – ich doch nicht! Ich will doch arbeiten

Aber du warst doch motiviert und wolltest arbeiten?

Ja klar! Ich habe das Gespräch mit der Geschäftsleitung gesucht und nachgefragt, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gäbe, wie ich wieder anfangen könne zu arbeiten. Beispielsweise mit einfacheren Arbeiten – doch ohne Erfolg. Ziemlich schnell kam dann die Anmeldung für die Invalidenversicherung (IV) reingeflattert. Bis zu dem Zeitpunkt dachte ich immer: „IV – ich doch nicht! Ich will doch arbeiten“. Nach einem Besuch bei einem Spezialisten hat sich aber herauskristallisiert, dass es so nicht weitergehen würde. Glücklicherweise gab mir die IV dann aber auch die Möglichkeit für eine Umschulung, damit ich wieder ins Berufsleben einsteigen kann.

Wie hast du die passende Weiterbildung für dich gefunden?

Zuerst wusste ich überhaupt nicht, in welche Richtung ich gehen soll. Soll ich auf dem Beruf bleiben, auf dem ich jahrelang gearbeitet habe, oder soll ich etwas komplett Neues machen? Aber da musste ich realistisch bleiben: Als über 40-Jähriger wird es schwierig, etwas von Grund auf neu zu lernen – da machte es doch viel mehr Sinn, auf dem technischen Verständnis, das ich in meinem Rucksack hatte, aufzubauen. Also habe ich mich im Bildungs- und Informationszentrum (BIZ) über meine Möglichkeiten informiert. Eine dieser Möglichkeiten war dann der technische Kaufmann und nachdem ich noch mehr Informationen dazu eingeholt hatte, war klar: Das ist das Richtige! Den technischen Kaufmann werde ich nächstes Jahr abschliessen.

Das muss ein grosser Schritt für dich gewesen sein.

Das war es auch. Für den reibungslosen Übergang ins Büro habe ich zuerst ein Coaching von der IV in Anspruch genommen, welches mich beispielsweise in die Computerprogramme wie Word, Excel oder PowerPoint einführte. Ich hatte davor auch schon versucht, in meinem Unternehmen ins Büro zu wechseln – bekam aber nur Absagen. Es gäbe momentan keine offenen Vakanzen, die ich besetzen konnte. Auch die Kommunikation mit meinem damaligen Arbeitgeber wurde während diesem sechsmonatigen Coaching immer weniger, bis dann komplett Funkstille herrschte.

Warst du zu dem Zeitpunkt dort immer noch als Bauleiter angestellt?

Pro Forma schon, aber halt krankgeschrieben. Eines Tages bewarb ich mich auf eine Stelle als Sachbearbeiter bei der Schwesterfirma, in der Hoffnung in der Firmengruppe bleiben zu können. Ich wurde dann auch zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen ­– das passt perfekt, dachte ich mir. Leider bekam ich dann trotzdem eine Absage. Am gleichen Tag bekam ich dann auch einen Anruf vom Geschäftsführer, ich könne vorbeikommen und meine Kündigung unterschreiben. Das war hart.

Hätte ich nicht so eine tolle Partnerin gehabt, die mich so stark unterstützte, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier.

Das war bestimmt nicht einfach zu verdauen…

Ich fühlte mich furchtbar traurig. Es war so frustrierend, nicht arbeiten gehen zu können, obwohl ich wollte. Das machte mich mit der Zeit depressiv. Ich fühlte mich nutzlos, fragte mich, ob es überhaupt noch Leute gibt, die mich wollen. Auf meine Bewerbungen erhielt ich nur Absagen – es war eine Tortur. Hätte ich nicht so eine tolle Partnerin gehabt, die mich so stark unterstützte, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier. Das Schlimme ist, dass niemand vor dieser Situation gefeit ist, es kann jedem passieren. Ich rate jedem, der in diese Situation gerät, sich Hilfe zu holen. Das kann bei der Partnerin, bei der Familie oder bei Freunden sein, aber auch professionelle Hilfe sollte in Betracht gezogen werden. Dafür sollte man sich nicht schämen – schlussendlich geht es ja um das eigene Leben.

Heute wirkst du aber sehr entspannt auf mich – wie hat sich deine Situation ins Positive verändert?

Es war ein langer Prozess der Verarbeitung für mich. Ich habe mich mit viel Sport abgelenkt, mich aber auch mit meiner Situation auseinandergesetzt. Das hat mir – neben meiner Partnerin – sehr geholfen. Aber auch meine Weiterbildung, die ich nun bald abschliessen werde, gibt mir Mut und Hoffnung. Ich traf in der Weiterbildung auf Menschen mit ähnlichen Schicksalen, merkte aber, als ich die Bewerbungsunterlagen verglich, dass sich das Coaching für die Computerprogramme bezahlt gemacht hatte.

Inwiefern?

Ein Teilnehmer hatte eine ganz ähnliche Geschichte wie ich und war auch auf Stellensuche – aber seine Bewerbungsunterlagen waren eine Katastrophe! Keine Übersicht, keine Struktur, kein passendes Bewerbungsfoto – ganz im Gegensatz zu meiner Bewerbungsmappe. Auch das gab mir Mut und Selbstvertrauen. Mittlerweile bin ich auch auf Xing und Linkedin und werde immer wieder angeschrieben, ob ich für diese oder jene Stelle Interesse hätte. Das fühlt sich gut an! Momentan habe ich mich für drei Stellen beworben. Für zwei davon wurde ich zum Bewerbungsgespräch eingeladen – und die Chancen stehen gut.

Betreffend Bewerbungsunterlagen: Kommt dein Rückenleiden auch in den Lebenslauf?

Nein, das schreibe ich nicht rein. Weil ich den ganzen Tag im Büro arbeite, ist das meiner Meinung nach auch nicht relevant. Wenn mich aber jemand fragt und Zweifel äussert, weil man ja auch im Büro den ganzen Tag sitzt, antworte ich ganz ehrlich: „In der Schule sitze ich ja auch den ganzen Tag ­­– und dort funktioniert es auch. Warum sollte das im Büro anders sein?“ Ich finde es wichtig, dass auch Leuten, die in einer ähnlichen Situation wie ich waren oder sind, wieder eine Chance gegeben wird. Wir sind schliesslich genauso fähig zu arbeiten, wie alle anderen auch. Und nur weil jemand von der IV kommt, heisst das nicht, dass die Person nicht arbeiten will.

 

Glückliche Wende: Kurz nach dem Interview hat Markus die Zusage für einen Job bekommen. Heute ist er wieder fest im Arbeitsleben integriert, arbeitet im Büro und schliesst bald seine Weiterbildung als technischer Kaufmann ab.

 

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